Enemy: Die Spinne ist der Schlüssel
Handlung
Der Film Enemy basiert grob auf dem Roman „Der Doppelgänger“ von José Saramago. In der Adaption von Denis Villeneuve (Prisoners, Sicario) handelt die Geschichte von Adam Bell (Jake Gyllenhaal), einem Geschichtsdozent, der allerdings trotz seiner attraktiven Freundin (Mélanie Laurent) einen sehr langweiligen und eintönigen Alltag hat. Tagsüber unterrichtet er in der Uni und abends korrigiert er Klausuren bis ihn seine Freundin zum Sex drängt.
Eines Tages entdeckt er in einem Film einenn Komparsen, der eine erstaunliche Ähnlichkeit mit ihm hat. Adam sucht den Namen und die Adresse des Darstellers. Sein Doppelgänger heißt offenbar Anthony Claire.
Als er bei diesem anruft geht dessen Frau Helen (Sarah Gadon) dran, die ihn sofort als ihren Mann Anthony erkennt und den Anruf für einen Scherz hält. Adam versucht erreicht Anthony zu einem späteren Zeitpunkt und kann ihn nach etwas Widerstand dazu überzeugen, ein Treffen zu vereinbaren. Helen hält Anthonys „merkwürdige“ Anrufe für eine Affäre und wird zunehmend eifersüchtig.
In einem abgelegenen Motel außerhalb der Stadt bemerken die beiden, dass sie exakt gleich aussehen und es scheint, als hätten sie sogar die gleichen Wunden.
Nun fängt auch Anthony an, sich in das Leben seines Doppelgängers einzumischen. So spioniert er Adams Freundin Mary nach,die auch er sher anziehend findet.
Anthony setzt Adam unter Druck und will, dass sie einen Rollentausch initiieren. Der Deal ist, dass sie für ein Wochenende tauschen, jeweils Zeit mit den Frauen des anderen verbringen und sich danach für immer voneinander trennen. Anthony ist dabei natürlich darauf aus, mit Mary Sex zu haben, während Adam sich in Anthonys Wohnung und mit dessen Frau unwohl fühlt, da er weiß, dass es nicht richtig ist. Helen scheint aber zu ahnen, was vor sich geht und gibt dies Adam auch zu erkennen.
Zur selben Zeit verbringt Anthony die Nacht mit Mary in einem Hotel. Während dem Sex bemerkt auch sie, dass etwas nicht stimmt und bricht den Geschlechtsverkehr ab. Auf dem Nachhauseweg entfacht ein heftiger Streit, der dazu führt, dass Anthony die Kontrolle über den Wagen verliert und sie letztendlich sterben.
Am morgen hört man eine Andeutung auf diesen Unfall aus dem Radio in Anthonys Wohnung. Dort scheinen Adam und Helen einen ganz normalen Morgen zu verbringen.
Achtung: Ab hier am besten nur NACH dem Film weiter lesen
Meine Erfahrung mit Enemy
Die oben beschriebene Handlung ist natürlich nicht alles, sondern nur die rationale Betrachtung was passiert. Bewusst weggelassen wurden die vielen Andeutungen, die Enemy die tiefere Ebene zufügen. Sucht man nach Interpretationen bzw. Erklärungen zu Enemy kommen schnell Fragen auf, ob Adam und Anthony die gleichen Männer oder die selbe Person ist. Ebenfalls die tiefere Bedeutung der Spinnensymbolik steht im Mittelpunkt der Erklärversuche.
Im Folgenden werde ich Enemy nun bestmöglich erklären.
Doch zuvor möchte ich meine Erfahrung mit diesem wenig beachteten Film teilen; Zum ersten mal erfuhr ich von Enemy, als ich 2014 auf dem Marketplace der Berlinale war. Dort lagen allerhand Filmzeitschriften herum. Zum einen sah ich da zum ersten mal das Cover von Stereo (mit Moritz Bleibtreu und Jürgen Vogel), zum anderen auch ein Cover von Enemy auf einer Titelseite eines Magazins. Ein interessanter Zufall, da Stereo und Enemy einige Gemeinsamkeiten haben.
Enemy verlor ich nach der Berlinale wieder aus den Augen. Erst viele Monate später sah ich den Film zum ersten mal. Nach dem Schauen hatte ich weniger das Gefühl, einen ultra krassen Film gesehen zu haben. Nein, denn ich war viel mehr verwirrt. Ich hatte weder das deutliche Gefühl, der Film wäre besonders gut noch besonders rund. Die vielen Bilder, Traumsequenzen, Andeutungen und nicht zuletzt das schwer verstörende und vermeintlich offene Ende (das ich oben ebenfalls ganz bewusst weggelassen habe). Ich denke, jeder, der Enemy das erste mal sieht, wird direkt danach versuchen herauszufinden, was er da gerade gesehen hat.
Ich habe mir viele Interpretationen und Erklärungen angesehen und durchgelesen und auch selbst viel darüber nachgedacht.
Wieder einige Monate später sah ich den Film zum zweiten mal – wohlgemerkt nachdem ich besser darüber bescheid wusste. Beim zweiten mal, hat mich der Film komplett weggehauen. Zum einen verstand ich die Handlung und Andeutungen besser, zum anderen versuchte ich auch, jedes einzelne Bild und jeden einzelnen Satz aufzunehmen. Sogar zwischendrin Stoppen und manche Bilder Frame für Frame anzusehen, war Teil des zweiten Schauens.
Als ich fertig war, hatte ich nicht nur das Gefühl, nahezu alles verstanden zu haben, sondern auch, dass der Film eben doch rund ist und selbst das Ende keineswegs offen war. Kennt man die Filme von Denis Villeneuve, muss man ohnehin davon ausgehen, dass einem am Schluss kein Happy End serviert wird. Im Prinzip ist das Ende ähnlich wie bei Prisoners; Das Ende ist negativ und 95%-geschlossen. Es braucht schon sehr viel Optimismus, um zu glauben, dass sich das fiktive Leben der Hauptcharaktere nach dem Ende noch mal zum „Guten“ wenden wird. Man kann also bei beidem sagen: Sie haben verkackt.
Auch Sicario schließt die eigentliche Handlung ab, aber wirklich glücklich ist man am Ende trotzdem nicht. Es entlässt den Zuschauer eher mit den Worten: „Die Geschichte ist vorbei und besser wird es auch nicht. Die Welt ist nun mal kein Ponyhof. Finde dich damit ab.“
Trotzdem oder genau deswegen bin ich ein großer Fan von Denis Villeneuve. Und zu meiner Erfahrung: Findet man einen seiner Filme nicht richtig geil, sollte man ihn vielleicht einfach nochmal ansehen 😉
Gleicher oder selber?
Enemy hat beim ersten mal einen starken Mindfuck-Charakter, der einem immer mal wieder Gänsehaut verschafft. Worüber man sich klar werden muss ist, dass Enemy nicht davon handelt, wie Adam nun mit seinem Doppelgänger umgeht und was er über ihn herausfindet. Um den wahren Kern der Geschichte zu erkennen, ist es die Grundvoraussetzung zu verstehen, ob Adam und Anthony die gleiche oder selbe Person sind. Enemy führt den Zuschauer an der Nase herum und verwirrt ihn. Dass Adam und Anthony Doppelgänger sind wird vor allem dadurch dargestellt, dass man die Handlung aus Adams Perspektive verfolgt, ihn und seinen Alltag kennen lernt und als er auf Anthony trifft, wirkt dieser als das Merkwürdige, Unbekannte. Der Zuschauer hat auf der offensichtlichen Ebene die Ansicht, dass Adam und Anthony zwei Personen sind. Diese Ansicht wird gewollt provoziert und am deutlichsten an den Stellen unterstützt, wo sie beide in einem Raum zu sehen sind oder miteinander sprechen.
Auf der anderen Seite ist es aber recht deutlich, dass die „Gleiche-Person“-Theorie nicht stimmt. An manchen Stellen wird der Zuschauer gerade zu dazu aufgefordert, in diese Richtung zu denken. Zum Beispiel, wenn er Adam bei seiner Mutter ist. Durch die vorangegangene Handlung weiß man, dass Anthony Kiloweise Heidelbeeren isst. Bei Adams Besuch bei seiner Mutter, bietet sie ihm Heidelbeeren an. Er sagt ihr, dass sie doch wüsste, dass er keine Heidelbeeren mag. Sie erwidert daraufhin, dass das Quatsch ist und er Heidelbeeren liebt.
Der nächste Punkt ist, dass sie ihn auf sein Verhalten gegenüber Frauen anspricht. Diese Stelle ist zwar weniger deutlich für die Frage der Identität als der eigentlichen Thematik, aber trotzdem interessant; Man weiß zwar, dass Adam eine Freundin hat – also nicht so gebunden wie Anthony als Ehemann – trotzdem wird Adam zuvor nie etabliert als Mann mit stark wechselndem Beziehungsverhalten. Er scheint zwar nicht besonders glücklich mit seinem Leben, doch scheint Mary nicht das tragende Problem dabei zu sein.
Deutlicher wird es schon, wenn sie ihn auf seinen angesehenen Beruf (als Dozent) und direkt danach auf ihren „unseriösen“ Beruf als „drittklassigen Schauspieler“ anspricht. Hier hat man direkt im Kopf, dass Anthony in dem Film, den Adam gesehen hat, nur eine kleine Komparsenrolle hatte.
Es gibt viele weitere Hinweise, die sich auch in den Dialogen ausdrücken. Helen (also Anthonys Frau) findet raus, dass Adam an einer Uni unterrichtet. Als sie dort auf ihn trifft, erkennt er sie zwar nicht, aber sie ihn. Voller Verwirrung ruft sie Anthony direkt nach dem Gespräch mit Adam an. Im Bild sieht man, wie Helen gerade anklingelt, während Adam im Hintergrund davon geht. Erst im Moment, in dem er aus dem Bild verschwunden ist, geht Anthony ans Telefon. Natürlich erkennt dieser sie sofort.
Die Frage ist natürlich, was im Bild hinter der Betonwand passiert ist: Ist er einfach in die Vorlesung gegangen oder hat er telefoniert?
Andere Hinweise auf eine gespaltene Persönlichkeit sind zwar als Bild oder als Ton deutlich, doch werden leicht übersehen. Ich hatte Enemy so in Erinnerung, dass er mit dem Spinnenritual anfängt. Erst als ich nach passenden Screenshots gesucht habe, ist mir aufgefallen, dass direkt am Anfang die Grundlage gesetzt wird.
Hier sieht man Helen noch bevor die erste Minute vergangen ist (siehe Zeitangabe unten im Bild). Warum ist dieses Bild so wichtig? Schauen wir uns das nächste Bild an – vor allem, was die Mutter am Telefon sagt (ebenfalls direkt in Verbindung mit dem oberen Bild:
Das Bett und das Zimmer ist nicht das, was man später in Anthonys Wohnung sieht, sondern Adams Bett und Schlafzimmer. Die Mutter deutet hier am Anfang an, dass A. vor Kurzem eine neue Wohnung gefunden hat. Das Bild mit Helen ist demnach nur so zu verstehen, dass A. und Helen erst in Adams kleinerer, dunklerer Wohnung wohnten und dann (womöglich wegen des zukünftigen Kindes) in Anthonys größere, hellere, modernere Wohnung gezogen sind. Wenn man völlig ins Detail gehen will, kann man sich auch fragen, ob ein Uni-Professor wirklich auf eine kleine hässliche Wohnung angewiesen ist und gleichzeitig ein Komparse (bzw. „drittklassiger Schauspieler“) es sich leisten kann, in einem so luxuriösen Apartment zu wohnen.
Der Anruf der Mutter selbst verrät nichts. Doch im Zusammenhang mit dem Bild von Helen bedeuten die beiden Einstellungen schon fast die Lösung.
In der Szene, wo sich Adam und Anthony das erste mal gegenüberstehen ist einerseits der Mindfuck-Moment, wo man sagen könnte, dass die beiden zwei Personen sind. Andrerseits ist es auch eine weitere Szene, die verrät, dass es nicht so ist. In dieser Szene wird die Frage aufgestellt, ob beide dieselbe Narbe unter der Brust haben. Adam zeigt siene Narbe zwar in dem Moment nicht, doch kriegen wir in der Szene danach zu sehen, dass er sie tatsächlich auch hat. Dass zwei verschiedene Personen exakt dieselbe Narbe haben, ist nahezu unmöglich.
Übrigens sind die beiden zwar mehrmals zu zweit zu sehen, doch zu keinem Zeitpunkt kann eine dritte Person sicher sagen, dass es zwei Personen sind. Denn gesehen werden sie an keiner Stelle zu zweit. In der Szene, wo Anthony mit Adam telefoniert und ihn Helen kurz darauf damit konfrontiert, behauptet er zwar, dass er mit Adam gesprochen hat, doch Helen hat nicht beide beim Gespräch gehört.
Der Zuschauer hingegen schon, allerdings muss man sich auch darüber klar sein, dass man Enemy nur aus Adams/Anthonys Perspektive sieht. Alle äußeren Perspektiven (Mutter, Helen, Mary) stellen die Zwei-Personen-Theorie infrage – die einzigen, sie sie glauben, sind Adam, Anthony und der verwirrte Zuschauer.
Wenn Adam und Anthony nun dieselbe Person sind und dies der Film schon zeigt noch bevor die erste Minute vorbei ist, dann kann es nicht darum gehen, wie die zwei Doppelgänger sich finden und miteinander umgehen, zumindest nicht als zwei verschiedene Personen. Außerdem sind die zwei „Klone“ nicht das einzig merkwürdige und fragwürdige an Enemy: Was hat es mit den Spinnen auf sich? Was soll das Ritual am Anfang? Wie ist das Ende zu interpretieren? Welche Bedeutung hat Helens Schwangerschaft? Welche Rolle nimmt Mary ein?
Gespaltene Persönlichkeit
Die Thematik um die „Gespaltene Persönlichkeit“ wurde spätestens seit Fight Club oft thematisiert – zu oft. Jeder Filmstudent will eine Hauptfigur mit Schizophrenie, ohne zu wissen, dass
Schizophrenie nicht gleich gespaltene Persönlichkeit bedeutet, sondern einfach eine Wahrnehmungsstörung ist. Der Grund für das filmische Interesse der gespaltenen Persönlichkeit liegt natürlich nahe; es eignet sich perfekt dazu, den Zuschauer an der Nase herumzuführen, um am Ende zu sagen „Ha! ich hab euch nur verarscht, das war die ganze Zeit ein und dieselbe Person“. Was Enemy aber anders macht ist, dass das Wissen um die zwei Seiten der selben Person vorausgesetzt ist, um die eigentliche Thematik zu verstehen. Bei vielen Pseudo-Schizo-Filmen ist die gespaltene Persönlichkeit das Thema an sich – bei Enemy stützt es ein viel interessanteres Thema. Um etwas vorauszugreifen: Das Thema ist unglaublich alt und wurde schon in unzähligen Filmen behandelt. Oft lustig, oft dramatisch, oft schlecht, immer mal wieder besonders gut.
Als erste müssen wir die beiden Seiten Adam und Anthony einzeln betrachten:
Adam ist ein Uni-Professor, lebt in einer kleinen Plattenbauwohnung und hat eine Freundin, die immer mal wieder kommt (Pun intended ;). Adam wirkt unzufrieden, introvertiert, unglücklich. Außerdem fährt er in einer kleinen Billigkarre herum.
Anthony ist Kleindarsteller, lebt in einer großen, luxuriösen Wohnung, hat eine schwangere Frau, macht Sport, fährt Motorrad. Er wirkt extrovertiert, locker, relativ zufrieden. Allerdings hat seine Frau Helen womöglich nicht ohne Grund eine gewisse Eifersucht. Es wird deutlich implementiert, dass Anthony nicht immer 100% treu ist/war.
Jetzt vermischen wir die beiden Charaktere und machen sie zu einem und nennen ihn einfach mal Jake Gyllenhaal und bringen alles mit ein, was wir bis jetzt wissen und worauf wir schließen können:
Jake ist ein Uni-Dozent, der immer mal wieder Komparsenrollen annimmt. Vor Kurzem ist er wegen und mit seiner schwangeren Frau Helen in eine bessere Wohnung umgezogen. Die alte Wohnung hat er allerdings immer noch und trifft dort Mary (möglicherweise nicht so oft, wie wir zu sehen kriegen). Wenn er Zuhause ist, ist er meist gut drauf und ist aktiv. Allerdings sucht er auch das Abenteuer, fährt Motorrad und verheimlicht seiner Affäre seine Ehe.
Ist er dann in seiner alten Wohnung mit seiner Affäre Mary, holen ihn die Schuldgefühle ein. Er weiß im Inneren, dass es nicht richtig ist. Doch er will auch den Freiraum vor seiner Frau. Helen ist nämlich aufgrund ihrer schweren Schwangerschaft meistens Zuhause. Das heißt, er kann Zuhause nicht für sich sein, was unterstreicht, dass er die alte Wohnung immer noch behält, um wenigstens dort seinen Freiraum zu haben.
Als Adam ist Jake treu. Zumindest wirkt er nicht so, als würde er wöchentlich eine andere Frau treffen. Als Anthony wird Jake unterstellt, untreu zu sein. Interessant ist dafür auch die Szene, in der sie das Treffen vereinbaren.
Anthony schlägt ein Motel außerhalb der Stadt vor. Er fragt Adam, ob er dies kenne. Adam verneint. Wenn man sich mit Film und speziell Drehbüchern etwas auskennt, weiß man, dass nichts zufällig ist. Der Autor hätte auch schreiben können „Ja, kenn ich“ und fertig. Stattdessen wird der Dialog verlängert, indem Anthony Adam anbietet, ihn nochmals anzurufen und ihm die Wegbeschreibung zu geben. Warum diese kompliziertere Variante?
Die Antwort darauf kriegen wir kurz drauf und gegen Ende des Films. Adam kommt zuerst im Motel an. Auf dem Weg zum Zimmer geht vor ihm eine Frau. Warum so ein kurzer Rock, warum Strapse und Zimmerkarte in der Hand? Nichts ist Zufall. Hier wird angedeutet, dass das Motel weniger zum Übernachten als viel üblicher für Affären, Seitensprünge und Prostituierte genutzt wird. Anthony kennt das Motel – Adam nicht. Später wenn Anthony mit Mary unterwegs ist, fährt er ebenfalls zu einem Motel außerhalb (ob es das selbe ist?).
Schaut man sich Enemy an, sollte man mal darauf achten, was genau Adam und Anthony ausmachen. Es gibt viele weitere Szenen, die einen tiefen Einblick in diese gespaltene Persönlichkeit aka Adam/Anthony aka „Jake“ aka multidimensionalen Charakter geben.
Doch im Groben müsste jetzt klar sein, in welcher Form Adam und Anthony dieselbe Person sind. Damit haben wir jetzt die Grundvoraussetzung erreicht, um die eigentliche Thematik zu betrachten.
Die Spinne
Immer wieder wird die Spinne bildlich eingebracht. Oft deutlich (Vogelspinne bei Ritual, Spinne über der Stadt, Traumsequenzen, letzte Szene) und oft unterschwellig (Stromkabel als Netz, die zerbrochene Autoscheibe in Form des Spinnennetzes). Zu keinem Zeitpunkt wird die Spinne aber hörbar thematisiert, also es wird nie darüber gesprochen.
Die Spinne steht im direkten Zusammenhang mit Helen. Ganz offensichtlich lässt sich das mit der letzten Szene begründen. Aber was bedeutet es? Schauen wir uns ein paar Szenen an, in denen die Spinnensymbolik auftaucht.
Das erste mal sieht man die Spinne bei dem Ritual. Ich nenn es Ritual, weil es wegen der Stimmung und den Bildung an elitäre Geheimveranstaltung aussieht, die man bspw. auch in „Eyes Wide Shut“ sieht. In Enemy bekommt man einen extra Schlüssel, alles ist dunkel, Männer in Anzügen sehen sich an, wie sich nackte Frauen in der Mitte bewegen. Den Schlüssel (also Eintrittskarte) hierfür bekommt Anthony über seine Agentur. Man könnte jetzt anfangen, über Illuminaten, Freimaurer und Co zu fachsimpeln, doch bei Enemy spielt dies keine Rolle. Wichtig dabei ist, dass Jake extra zu einer Veranstaltung geht, um zu sehen, wie eine Spinne von einer nackten anonymen Frau zertreten bzw. getötet wird. Diese erste richtige Szene bildet mit der letzten Szene eine Art Rahmenhandlung. Die Geschichte hört da an, wie sie aufhört. Jetzt könnte man sagen „Die letzte Szene spielt doch gar nicht bei dieser Veranstaltung“. Der Film endet aber damit, dass Jake sich dazu entscheidet, dort wieder hinzugehen. In dem Moment, wo er sich entschieden hat, wird Helen zu einer riesigen Vogelspinne.
Wobei dies nicht 100% stimmt. Wieder muss man sich klar darüber sein, dass man den Film aus Jakes Perspektive sieht. Wenn ich in einen Raum kommen würde, wo auf ein mal eine verdammt riesige Spinne säße, würde ich rausrennen und das Gebäude in die Luft jagen. Doch Jake seufzt einfach nur, als wisse er, dass nun alles wieder von vorn beginnt.
Die Spinne findet in Jakes Kopf statt. Ein interessanter Hinweis darauf, der mir auch erst im Menü des Films aufgefallen ist, obwohl ich es auch an dem Booklet hätte erkennen können, ist das Cover. Nichts ist Zufall. Das Cover ist eine Zusammensetzung aus Jake Gyllenhaals Profil und einer Staat, auf der eine riesige Spinne sitzt. Das Cover verrät somit schon, dass die Handlung mit subjektiver Wahrnehmung spielt.
Diese Stadt wird mehrmals als Totale gezeigt. Mal mit Spinne, mal ohne. Direkt nachdem Adam seine Mutter besucht, ist die Spinne groß auf der Stadt zu sehen. Etwas später als Anthony den Unfall baut, erkennt man das Spinnennetz in der seltsam zerbrochenen Autoscheibe. Wieder direkt danach ein Blick über die Stadt: Die Spinne ist weg.
Zäumen wir das Pferd von Hinten auf: Statt Helen sieht Jake eine Spinne. Helen ist schwanger. Schwanger bedeutet Schluss mit lustig, Verantwortung, Treue, Rücksicht. Alles Dinge, die einem „freien“ Mann wie Anthony einschränken, Dinge vor denen er sich fürchtet. Ich würde nicht sagen, er hat Angst vor Helen oder hasst sie. Doch sie verkörpert durch ihren Status als schwangere Ehefrau genau diese Dinge. Deshalb versucht er, seine Freiheit im Geheimen zu leben. Zum einen hat er die Affäre in seiner alten Wohnung (Mary) und hat vermutlich schon verschiedene Seitensprünge hinter sich (Motel), zum anderen geht er zu geheimen Veranstaltungen, die an Sex-Rituale erinnern. Und an dieser Stelle wird wieder der Anfang wichtig: Eine Spinne (die im direkten Zusammenhang mit Helen steht) wird zertreten.
Adam ist die Hauptperson. Dieser beginnt in während seiner Affäre und seinem Doppelleben(!) an sich zu zweifeln. Wie gesagt, er ist nicht wirklich glücklich. Er fängt an, sich mit seiner „dunklen“ Seite zu konfrontieren. „Dunkle“ und „helle“ Seite wird auch dargestellt, in der Szene, in der sie sich im Motel treffen: Adam hat ein helles Jacket an, Anthony eine schwarze Lederjacke. So nähert er sich als Adam in der zweiten Hälfte zunehmend Helen. Er erkennt mehr und mehr seine Fehler und trotzdem kann er es nicht wirklich lassen.
Im dritten Akt tauschen Adam und Anthony die Rollen. Die Schnittweise ist dabei besonders wichtig, um zu verstehen, was parallel passiert. Adam ist dabei der reale Teil. Er wirkt auf Helen vorsichtig und distanziert. Sie bittet ihn, ins Bett zu kommen und spricht ihn kurz darauf auf seine Stelle als Dozent an, obwohl sie eigentlich glauben müsste, dass sie Anthony vor sich hat. Adam wird dabei klar, dass sie darüber bescheid weiß. Zur gleichen Zeit sind Anthony und Mary im Motel an und treiben es miteinander. Auch Mary erkennt, dass Anthony nicht Adam ist (Eheringabdruck) und springt auf. Cut zu Adam, der im Bett mit Helen liegt und gerade aus dem Schlaf aufschreckt. Jake (zur Erinnerung: „Adam/Anthony“) wird nun klar, dass er beiden Frauen etwas vor macht. Er wandelt nachdenklich(!) durch die Wohnung. Cut zu Anthony: Mary verlässt aufgelöst das Motel, Anthony rennt ihr hinterher. Adam sitzt nun mit Tränen in den Augen auf dem Sofa während Anthony und Mary schweigend im fahrenden Auto sitzen. Nun kommt Helen ins Wohnzimmer und setzt sich zu ihm. Er zeigt Reue („Tut mir leid“). Gleichzeitig beginnt der Streit zwischen Mary und Anthony im Auto während sie in einen Tunnel fahren. Sie bezichtigt ihn, kein Mann zu sein – gleichzeitig sagt Helen zu Adam „Ich will nicht, dass du gehst“. Wohin? Einerseits zeigt sie ihm hier ihre Zuneigung, andrerseits ist das auch ein Hinweis darauf, dass er wohl seither oft nachts weggegangen ist. Um mich nun nicht im Detail zu verlieren: Er trennt sich in diesem Moment von seiner dunklen Seite (er will Mary aus dem fahrenden Auto schmeißen und baut dabei den tödlichen Unfall). In Gedanken tötet er also nicht nur seine Untreue (Mary), sondern auch seine gesamte negative Seite (Anthony) und wendet sich seiner eigentlichen Verantwortung zu (liebevollen Sex mit Helen).
Das Ende mit der Spinne
Wie oben schon gezeigt, sehen wir beim Unfall die Spinnennetz förmig zerbrochene Autoscheibe. Direkt danach die Stadt ohne die Spinne. Würde der Film an dieser Stelle enden, wäre es ironischerweise ein Happy End. Er hat die Angst vor der Spinne (Verantwortung) bezwungen. Doch nun folgt die letzte Szene. Die letzte Szene eines Filmes ist meistens gar nicht mehr Teil der Handlung, sondern dient dazu, den Zuschauer nicht einfach so zu entlassen. Schließlich sind die Zuschauer im Kino oft noch mittendrin und müssen sich erst langsam wieder der Realität zuwenden. Man sagt auch, die letzte Szene ist dazu da, damit man noch Zeit hat, die Tränen und Emotionen aus dem Gesicht zu reiben, bevor das Licht angeht.
Doch Enemy dreht den Spieß um. Die letzte Szene beginnt mit einem fröhlichen guten Morgen. Jake scheint nun wieder im Leben angekommen und im Kopf wieder mental klar zu sein. Beim Anziehen entdeckt er den Schlüssel (wohlgemerkt: als Adam an sich kann er nicht ahnen, was dieser bedeutet, als Jake/Anthony aber schon). Der Schlüssel ist natürlich wieder der Zugang zur Ritualveranstaltung und steht somit für Untreue, Trieb, Negatives. Er scheint mit sich zu hadern, doch in dem Moment, wo er Helen fragt, ob sie schon was vor habe und ihr ins Schlafzimmer ruft, dass er heute Abend „mal raus“ müsse, hat er sich entschieden, seiner negativen Seite nachzugeben und Anthony wieder zum Leben zu erwecken. Die Konsequenz ist direkt in der selben Szene zu sehen: Helen als große Vogelspinne.
Jetzt konnten sich die Kinogänger vielleicht noch die Tränen weg wischen, aber wenn das Licht angeht, hat es keiner geschafft, sich seine Verwirrung wegzureiben 😀
Wie könnte man das Thema von Enemy jetzt in einem Wort oder Satz formulieren?
„Der Kampf mit sich selbst“, „die inneren Dämonen“, Bindungsstörung 😀
Weitere Vorschläge dürfen gerne kommentiert werden. Ich hoffe, ich konnte Enemy nun ausreichend erklären. Den Film kann man übrigens direkt durch die Amazon-Anzeigen im Artikel kaufen und mich gleichzeitig unterstützen. Bei der empfohlenen Blu-Ray ist nicht nur einiges an Bonusmaterial mit drauf, sondern auch Villeneuves langer Kurzfilm „Polytechnique“.
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Also doch lieber noch warten mit der Schwangerschaft… 😀
Sehr schöne Film-Analyse! Du greifst sehr viele Aspekte auf, die mir während des Schauens in den Sinn gekommen sind, mir aber nicht direkt die Verwirrung genommen haben.
Ich gebe dir somit also Recht, mit deiner Interpretation.
Was ich mich jedoch auch frage, ist, was die Vorlesungen zu bedeuten haben, bzw. ob sie überhaupt etwas zu bedeuten haben. Man kann ja deutlich sehen, wie Adam zunehmend „verwirrter“ wird, zunehmend unsicherer.
In einer Szene kann man hinter ihm an der Tafel die Worte „Chaos“ lesen. Für mich eine weitere Anspielung auf seine verwobene Situation (Wortspiel beabsichtigt), da das Wort ja auch mehr als einmal an der Tafel steht und durch Pfeile miteinander verbunden ist, also eventuell ebenfalls ein Netzt darstellen soll.
Jedenfalls ein sehr intensiver Film, der mich durchaus zum nachdenken anregen konnte!
Ja, ich denke auch, dass die Vorlesungen eine Bedeutung haben. Vor allem die Themen die er dort bespricht. Zum einen das Thema Kontrolle in Diktaturen durch Bildungsreduzierung etc. (Gleich in zwei(!) Vorlesungen) und Philosophischen Theorien von Hegel und Karl-Marx, äh über die Annahme von Dopplungen und sich wiederholenden (!) Ereignissen. Er sagt, Die Philosophen gehen davon aus, dass das eine eine Tragödie ist (Anthony?) und das andere eine Farce(Adam…?). Außerdem wird gesagt, dass die Philosophen in SORGE diese sich wiederholenden Ereignisse betrachten, was darauf schließen lässt, dass die vergangenen Ereignisse keine guten waren. Das kann man wiederum auf das Fremdgehen von Anthony übertragen und dass es sich wiederholen wird, wie es das Filmende ja auch vermuten lässt.
Außerdem finde ich es auch auffällig, dass der Vorlesungssaal am Anfang immer voll gezeigt wird und bei der letzten gezeigten Vorlesung leer ist…
Des Weiteren haben meiner Meinung nach auch die unterschiedlichen Namen eine Bedeutung, die ich aber nicht ganz zuordnen kann. Da wäre einmal der Künstlername Daniel Saint C., was auf den heiligen Daniel anspielt, dann Anthony Claire, welcher ein berühmter Psychologe aus Irland war 1980 und sehr viele Fernsehauftritte hatte…und Adam Bell. Adam bell könnte sich vllt auf Theaterstücke von Shakespeare etc beziehen, da dort Figuren vorkamen, die so hießen. Deren Rolle da müsste man sich allerdings nochmal genauer anschauen um Zusammenhänge zu erkennen…
Danke für die ausführliche Analyse!
Bei der Aufnahme der großen Spinne über der Stadt musste ich an die Künstlerin Louise Bourgeois denken, die für ähnlich aussehende große Spinnenskulpturen bekannt ist, zu sehen u.a. vor dem Guggenheimmuseum in Bilbao (https://de.wikipedia.org/wiki/Louise_Bourgeois).
Denkst du, auf diese Ähnlichkeit wird absichtlich angespielt? Oder ist das vielleicht zu weit hergeholt? 😀
Viele Grüße
Vielen Dank, top Erklärung.
Interessant ist auch der Aspekt das beide das gleiche Foto haben, Anthony mit Helen drauf und Adam mit riskante ohne Helen. Oh gleich nochmal gucken und noch mehr finden .
Schöne Erklärung, danke dir!
Mich würde noch interessieren, was die Vorlesungen zu bedeuten haben. Da doziert er ja über Kontrolle und Diktatur. Hast du dir darüber auch schon Gedanken gemacht, wie diese Szenen mit dem Gesamtzusammenhang in Verbindung stehen könnten?
LIebe Grüsse
Ich denke dass die Diktatur und Kontrolle durch seine Partnerin dargestellt werden soll, welche ja insbesondere bei Helen, durch das zumindest am Anfang noch unbegründete Hinterherspionieren gezeigt wird. Also wie sie in seinen Sachen sucht und ihm Dinge unterstellt und dann sogar zu Adam an die Uni fährt.
Und noch dazu vielleicht auch durch seine Mutter, weil sie auffällig oft in die Handlung miteinbezogen wird, obwohl sie ansonsten nicht wirklich eine tragende Rolle spielt…
Danke dir 🙂
Endlich versteh ich ihn !
Und verdammt geiler Film!
Super Analyse von dir. Hat mir einiges erklärt! Fand den Film super spannend und durch deine Zusammenfassung der Handlung ist mir einiges klarer. Vielen Dank 🙂